Die VC startet als eigenständige Gewerkschaft ins neue Jahrtausend. Neben den ehrenamtlichen Kräften engagieren sich nun auch angestellte Mitarbeiter für die Tarifpolitik. In der Geschäftsstelle in der Villa am Lerchesberg in Frankfurt am Main wird es zu eng, sodass die VC im Jahr 2000 nach Neu-Isenburg, in unmittelbare Nähe zum Frankfurter Flughafen, umzieht.
Im Frühjahr 2001 fordert die VC für 4200 Piloten und Co-Piloten bei der Lufthansa Gehaltserhöhungen von durchschnittlich mehr als 30 Prozent. Die Lufthansa bietet für das Jahr 2001 lineare Steigerungen von durchschnittlich etwa 3,3 Prozent. Für die Jahre 2002 bis 2005 soll nach Unternehmenssicht jeweils ein Inflationsausgleich vorgesehen werden. Eine Einigung ist lange nicht in Sicht. Anfang Mai stimmen 96,2 Prozent der VC-Mitglieder für einen unbefristeten Streik. Die Piloten streiken in den folgenden Wochen zweimal, insgesamt fallen rund 1500 Flüge aus, mehr als 100.000 Passagiere sind betroffen, der Verlust für die Airline wird auf knapp 100 Millionen Mark geschätzt. Ende Mai erklären die Tarifparteien ihre Verhandlungen für gescheitert. Die Stimmung in den Medien und in der Öffentlichkeit ist aufgeheizt, die Forderungen der Piloten scheinen ihnen überzogen.
Im Juni 2001 schließen VC und Lufthansa mithilfe einer Schlichtungskommission um den früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher einen Kompromiss: Acht Prozent lineare Steigerung pro Jahr über die Laufzeit von drei Jahren und drei Monaten (insgesamt 26,1 Prozent) zuzüglich einer Neuregelung der Leistungsabhängigen variablen Vergütung, die innerhalb der Laufzeit mehrere Monatsgehälter als Einmalzahlung vorsieht. Außerdem erfolgen weitere Verbesserungen z.B. bei Manteltarifverträgen und der Übergangsversorgung. Damit endet der bis dahin schwerste Konflikt in der Geschichte der VC. Die Piloten werten die harte Auseinandersetzung als Erfolg: Ihre Bezüge entsprächen endlich dem Niveau europäischer Fluggesellschaften. Ab September 2001 handelt die VC mit fast allen deutschen Airlines neue Tarifverträge aus, während ein furchtbares Ereignis in den USA die ganze Welt erschüttert.
Boston, 11. September 2001. Um 7:59 Uhr startet der American-Airlines-Flug Nummer 11 vom Logan International Airport nach Los Angeles. An Bord sind 11 Crew-Mitglieder und 81 Passagiere. Fünf von ihnen gehören zum Terrornetzwerk al-Qaida, darunter Mohammed Atta, der sich Zugang zum Cockpit verschafft und die Kontrolle über das Flugzeug übernimmt. Eine Viertelstunde später hebt eine United-Airlines-Maschine ab, mit fünf weiteren Terroristen an Bord; al-Qaida-Mitglieder kapern außerdem zwei Maschinen, die in Washington und Newark bei New York starten. Um 8:46 Uhr schlägt die American-Airlines-Maschine im Nordturm des World Trade Centers in New York ein, knapp zwanzig Minuten später trifft die zweite Maschine aus Boston den Südturm. Das dritte entführte Flugzeug lenken die Selbstmordattentäter ins Pentagon, den Sitz des US-Verteidigungsministeriums. Um kurz nach zehn Uhr stürzt die vierte Maschine bei Shanksville im Bundesstaat Pennsylvania ab. Die Terroristen töten insgesamt fast 3000 Personen.
Millionen von Menschen verfolgen die dramatischen Ereignisse live im Fernsehen, der Schock und die weltweite Anteilnahme sind groß. Für die Fluggesellschaften haben die Terroranschläge vom 11. September unmittelbare wirtschaftliche Folgen.
Der US-amerikanische Luftraum wird für vier Tage gesperrt, den deutschen Airlines, die die USA anfliegen, entstehen horrende Verluste. Rasch werden die Kontrollen an internationalen Flughäfen verschärft. Einzelne Fluggesellschaften setzen bewaffnete Flugbegleiter, sogenannte Sky Marshals, ein – eine Maßnahme, die die Bundesregierung bereits 1977 nach der Entführung der »Landshut« erwog. Stärkere Cockpittüren sollen die Sicherheit für Crew und Passagiere erhöhen, kosten die Airlines aber Millionenbeträge. Gleichwohl sind viele Menschen verunsichert. Die Passagierzahlen gehen 2001 zwar nur um insgesamt 2,7 Prozent zurück, dennoch beklagen die Airlines Milliardenverluste.
Der Schock über das Attentat sitzt so tief, dass Politik und Behörden fieberhaft nach Wegen suchen, um Selbstmordattentate zu verhindern. Die AG Security der VC unterstützt die Arbeit der Sicherheitsbehörden, vor allem der Europäischen Agentur für Flugsicherheit und des Luftfahrt-Bundesamts, mit ihrer fachlichen Einschätzung. Als die Bundesregierung ein neues Luftsicherheitsgesetz entwirft, schaltet sich die VC als Fachverband ein. Ihre Vorschläge finden allerdings kaum Gehör, da zunächst politische Erwägungen im Vordergrund stehen. Neue Brisanz erhält die Terrorismusabwehr in Deutschland, als im Januar 2003 ein geistig verwirrter Einzeltäter in einem Motorsegler stundenlang über der Frankfurter Innenstadt kreist und droht, in eines der Bankenhochhäuser zu fliegen.
Das 2004 vom Bundestag verabschiedete Luftsicherheitsgesetz löst Widerstand aus. Burkhard Hirsch (FDP), ehemaliger NRW-Innenminister und Vizepräsident des Bundestages, und Gerhard Baum (FDP), ehemaliger Bundesinnenminister, sowie Hans Albrecht, Flugkapitän bei dba und Mitglied der VC, ziehen mit einer Klage vor das Bundesverfassungsgericht. Denn das Gesetz erlaubt, unter bestimmten Bedingungen ein gekapertes Flugzeug abzuschießen. Dass damit Leben gegen Leben abgewogen werde, verstoße gegen das Grundgesetz, so die Kläger. Die VC ist als sachverständiger Verband geladen und betont, dass es sich bei den Anschlägen vom 11. September 2001 um einen aufwändig geplanten Einzelfall handelte, der kaum wiederholbar sei. Kleinflugzeuge abzuschießen, stände in keinem Verhältnis zum eher geringen Schaden, den solche Maschinen anrichten könnten. Zudem stellten herabfallende Einzelteile eine zusätzliche Gefahr für Unbeteiligte dar.
Die VC unterstreicht, wie schwer Flugzeugentführungen eindeutig zu identifizieren sind. Wenn ein Funkkontakt länger als 30 Minuten unterbrochen sei, könnte das zwar ein Indiz sein, aber auch im normalen Flugbetrieb komme dies häufig vor – allein 2005 seien in Deutschland mehr als 300 solcher Fälle gemeldet worden.
Eine »Aufopferungspflicht« lehnt die VC ab. Piloten seien zwar für das Leben von Passagieren und Besatzung verantwortlich und müssten daher ihr eigenes Wohl hinter die Rettung anderer stellen. Dass sie dafür ihr eigenes Leben riskieren, könne man daraus jedoch nicht ableiten – und vor allem nicht, dass Dritte darüber entscheiden dürfen. Das Urteil vom 15. Februar 2006 gibt den Beschwerdeführern Recht und folgt im Wesentlichen der Auffassung der VC.
San Antonio, Texas, 1966. Der Geschäftsmann Rollin King schließt seine unprofitable kleine Fluggesellschaft. Beim Essen mit seinem Anwalt zeichnet er ein Dreieck auf eine Serviette und schreibt die Städtenamen Dallas, Houston und San Antonio in die Ecken. Vielleicht ist das nur eine gute Geschichte. Fest steht, dass King 1971 die erste Billigfluglinie gründet. Sie soll ausschließlich die drei texanischen Städte anfliegen, womit er staatliche Regulierungen umgeht. Die texanische Wirtschaft boomt und King sieht das große Potenzial an Fluggästen.
Mit drei Boeing 737-Maschinen geht Southwest Airlines an den Start, zu 90 Prozent finanziert von Boeing. Da King kein Geld für Werbung hat, schaltet er Stellenanzeigen, die viel Aufmerksamkeit erregen. 1200 Frauen bewerben sich auf die 40 Stellen als Flugbegleiterinnen. King stattet die Stewardessen mit aufreizenden Uniformen aus: knappe Hot Pants in leuchtendem Orange, kniehohe Schnürstiefel und enge Gürtel – die Hauptzielgruppe sind männliche Geschäftsreisende. Ein Oneway-Flug kostet tagsüber 20 Dollar, später 26 Dollar; abends und nachts zahlen die Passagiere zehn bzw. später 13 Dollar. Mit niedrigen Preisen ist die Airline erfolgreich und macht Jahr um Jahr Gewinne.
Rasch gibt es einen Nachahmer in Europa: Laker Airways. Doch die Airline scheitert und muss 1982 Insolvenz anmelden. Erst als 1988 Michael O’Leary die Geschäftsführung der drei Jahre zuvor in Dublin gegründeten Ryanair übernimmt, beginnt der Siegeszug der Lowcost-Airlines auch in Europa.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends erleben die Lowcost-Carrier einen enormen Boom. Die irische Ryanair expandiert bereits seit 1995 in Europa und startet seit 2002 von Frankfurt-Hahn. Germanwings und Hapag-Lloyd-Express (heuteTUIfly) transportieren Passagiere von Köln/Bonn aus zu sehr günstigen Tarifen, und die britische easyJet geht 2004 auch in Deutschland an den Start. In der Branche konkurrieren nun zwei Geschäftsmodelle: Große, etablierte Airlines wie Air France, British Airways, KLM und Lufthansa bieten Kurz- und Langstreckenflüge von den großen Airports an und setzen auf Qualität und Service. Lowcost-Carrier verkaufen günstige Tickets, minimieren den Service und reduzieren die Gebühren, indem sie vorwiegend von kleineren Flughäfen starten. Außerdem sparen sie beim Personal, das kaum gewerkschaftlich organisiert ist. Insbesondere für diese Gruppen setzt sich die VC nun ein und versucht, bei den Lowcost-Airlines bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Nach dem 11. September 2001 drängen Sicherheitsfragen mehr als je zuvor. Gleichzeitig sorgt sich die VC um die Arbeitsplätze vieler Mitglieder. Ende 2001 stehen 2300 Arbeitsplätze bei der LTU auf dem Spiel. Die Insolvenz des zweitgrößten deutschen Ferienfliegers wird nur abgewendet, weil sich Anteilseigner, Banken und das Land Nordrhein-Westfalen in letzter Minute auf ein Rettungspaket einigen: 240 Millionen Mark Kredit gibt die WestLB für die Sanierung frei, das Land übernimmt eine 90-prozentige Bürgschaft. An der Rettung haben auch die Piloten einen Anteil: Sie stimmen einem Sanierungstarifvertrag zu. Doch andere Airlines, etwa die Condor, stehen vor ähnlichen Problemen. Die VC vereinbart mehrere Sparpakete – mit Erfolg: In der Krisenzeit unmittelbar nach 9/11 verliert kein Pilot in Deutschland seinen Arbeitsplatz. Im Verhandlungspoker 2003 um die Rettung der angeschlagenen Aero Lloyd demonstrieren Piloten sowie Kabinen- und Bodenpersonal vor der bayerischen Landesbank, die das Sanierungskonzept für die Charterfluggesellschaft nicht mehr mittragen will. Die Insolvenz der Aero Lloyd 2003 kann die VC zwar nicht verhindern, doch sie unterstützt ihre Mitglieder bei Rechtsfragen.
Die »Billigflieger« sind mit ihrer rigiden Preispolitik sehr erfolgreich und setzen die gesamte Branche massiv unter Druck. Die großen Airlines richten sich zum Teil neu aus und gründen Tochtergesellschaften für günstigere Flüge. Zudem setzt das »Open Skies«-Abkommen 2007/08 zwischen der EU und den USA die schrittweise Liberalisierung der Branche in Europa fort. Das Abkommen ermöglicht freien Wettbewerb und hat vor allem Verbraucher im Blick, die von günstigen Flugreisen profitieren. Einheitliche Standards bei den Tarifen und beim Arbeitsrecht gehören dagegen nicht zur Vereinbarung.
Die VC ist insbesondere über die Situation bei Air Berlin besorgt: Die Airline entwickelt sich rasch zur zweitgrößten deutschen Gesellschaft und beschäftigt immer mehr Piloten, jedoch ohne Tarifverträge. Als Air Berlin die dba und LTU kauft, sucht die Pilotengewerkschaft das Gespräch – und erzielt einen beachtlichen Erfolg. Im August 2007 vereinbaren Air Berlin und VC erstmals einen Tarifvertrag. Der Verband hat nun eine gute Ausgangsposition, um auch bei anderen deutschen Airlines bessere Bedingungen für seine Mitglieder zu erreichen. Zum Beispiel macht die VC mit der Aktion »Sicherer Himmel« seit 2007 auf das Problem der Übermüdung von Piloten aufmerksam. Der gestiegene Kostendruck dürfe nicht zu Lasten der Sicherheit gehen, betont der Verband immer wieder.
Neben den wirtschaftlichen Bedingungen der Branche kümmert sich die VC verstärkt um berufspolitische Fragen. Die AG Strahlenschutz untersucht etwa, welcher kosmischen Strahlung Piloten ausgesetzt sind. Bei den etwa 30.000 Mitarbeitern in Kernkraftwerken beträgt die Strahlendosis im Jahr 2009 insgesamt 15,4 Sievert; beim fliegenden Personal, etwa 36.000 Menschen, liegt sie mit 86 Sievert etwa fünfmal so hoch. Die AG bringt ihre Expertise in eine neue, bundesweit einheitliche Strahlenschutzverordnung ein.
Die AG Flight Duty Times, die sich um die Flugdienstzeiten kümmert, wirkt an der Zweiten Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (2. DV LuftBO) mit. Sie erreicht dabei eine Verbesserung für die Piloten, die nur noch höchstens 2000 Stunden pro Kalenderjahr eingesetzt werden dürfen.
2009 feiert die VC ihr 40-jähriges Bestehen und blickt auf die ersten zehn Jahre als eigenständige Gewerkschaft und Alleinvertretung der Piloten zurück. Die Bilanz ist positiv: Seit vier Jahrzehnten ist die VC in Politik und Wirtschaft als Fachverband mit großer Expertise anerkannt und betreibt wirkungsvolle Tarifpolitik für ihre Mitglieder. Im Jubiläumsjahr bezieht sie neue Räume direkt am Frankfurter Flughafen und ist damit für ihre Mitglieder noch besser erreichbar.