Asche über Europa

Februar 2010. Die Vulkanologen der Universität Island und beim isländischen Wetteramt sind alarmiert: Die Erdkruste rund um den Vulkan Eyjafjallajökull gerät in Bewegung. In den folgenden Wochen messen die Wissenschaftler mehr als 3000 Erdbeben. Diese sind zwar noch recht schwach, doch gerade das deutet auf einen bevorstehenden Ausbruch hin. Am 14. März stößt der Vulkan große Mengen Magma aus, Gletschereis kühlt die heiße Flüssigkeit rasch ab, kleinste Partikel entstehen und schweben in der Luft. Eine gigantische Aschewolke steigt mehrere Kilometer in die Luft, Wind bläst sie zunächst über die Nordsee und Skandinavien. Später breitet sich die Wolke über ganz Europa aus und legt beinahe den gesamten europäischen Luftverkehr lahm. Die Airlines erleiden in wenigen Wochen Verluste in Millionenhöhe.

Am 21. April geht der Flugbetrieb weiter, nachdem das London Met Office als zuständiges »Volcanic Ash Advisory Center« (VAAC) Karten herausgibt, mit denen sich abschätzen lässt, wohin die Wolke ziehen wird. Außerdem definiert das Met Office vorläufige Grenzwerte für die Aschebelastung. Noch ist unklar, wie gefährlich die Asche für die Flugzeuge und die Sicherheit ist, denn einen vergleichbaren Fall gab es noch nicht. Die Triebwerkshersteller nennen zwar Richtwerte, aber Flugzeuge besitzen keine Messinstrumente für Asche. So haben die Piloten keinen Anhaltspunkt, an dem sie sich orientieren könnten. Die Airlines drängen allerdings darauf, dass der Flugverkehr rasch weitergeht. Sie kritisieren die Flugsicherheitsbehörden und verweisen darauf, dass die angenommene Konzentration der Aschebelastung lediglich auf Modellrechnungen basiere.

Am 17. Mai hebt das Met Office die Grenzwerte an und unterteilt den europäischen Luftraum in drei klar voneinander abgegrenzte Zonen. Je nach Grad der Belastung gelten nun unterschiedliche Einschränkungen. Praktisch heißt das für die Piloten: Sie müssen die Aschewolken mit bloßem Auge erkennen und gegebenenfalls ausweichen, wie die VC kritisch anmerkt. Flüge nach Sichtflugregeln lehnt die VC jedoch grundsätzlich ab. Die Cockpitarbeit in modernen Verkehrsflugzeugen erfordere, dass Piloten kontinuierlich die Instrumente beobachten. Für Sichtflüge seien die Piloten nicht hinreichend geschult, die meisten Kollegen hätten Flüge ohne Instrumentenkontrolle zuletzt in der Flugschule absolviert.

Die Aschewolke des Eyjafjallajökull stoppt im Frühjahr 2010 beinahe den gesamten europäischen Luftverkehr. Die VC lehnt Flüge nach Sichtflugregeln ab und betont die Sicherheit für Piloten und Passagiere.

Ein Jahr nach dem Vulkanausbruch belegt eine Studie, dass das Flugverbot prinzipiell gerechtfertigt war. Die Aschepartikel sind für Flugzeuge äußerst gefährlich, weil sie wie ein Sandstrahler auf die Außenhüllen der Maschinen wirken und zum Beispiel die Fenster blind werden lassen. Auch die Triebwerke werden beschädigt, wenn sie die Asche ansaugen. Ob die Einschränkungen für ganz Europa gelten mussten, bleibt dagegen strittig. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt etwa ermittelt, dass der Grenzwert von zwei Milligramm Asche pro Kubikmeter über Deutschland nicht überschritten wurde.

Präsenz in Berlin

Die VC stellt auch in dieser außergewöhnlichen Situation die Sicherheit der Piloten und der Passagiere in den Vordergrund. Sie äußert sich immer wieder zu Regularien und Gesetzesentwürfen, bemängelt aber, dass ihre Experten häufig erst spät gehört werden. Daher gründet die VC im Jahr 2012 ein Büro in Berlin, um näher bei den politischen Entscheidungsträgern zu sein. Die Piloten hoffen, ihre Positionen künftig früher in Gesetzgebungsverfahren einbringen zu können. Die VC setzt sich weiter dafür ein, dass hoher Kostendruck und zunehmende Internationalisierung bei den Airlines nicht die Arbeitnehmerrechte und die Sicherheit beeinträchtigen.

2012 startet die VC eine Öffentlichkeitskampagne zum Thema Flugdienstzeiten, denn die Europäische Union überarbeitet die Regeln dafür. Obwohl Wissenschaftler deutliche Beschränkungen fordern, würden deren Empfehlungen weitgehend ignoriert, so die VC.

In den USA seien die Flugzeiten trotz massiven Widerstands der Airlines deutlich beschränkt worden; in der EU arbeiteten Piloten jedoch bis zu 15 Stunden am Stück, obwohl das Unfallrisiko bereits nach 12 Stunden um das Fünffache steige. Bei etwa 20 Prozent aller Unfälle spiele die Übermüdung der Piloten eine wesentliche Rolle.

2014 thematisiert die VC abermals kontaminierte Kabinenluft. Den Anlass bietet ein 43-jähriger Pilot, der chronische neurologische Symptome aufwies und verstarb. Eine Obduktion lieferte deutliche Hinweise auf Schadstoffe, die die Piloten und prinzipiell auch die Passagiere gefährden könnten. Mit der Luft, die aus den Triebwerken ins Flugzeug geleitet wird, gelangen giftige Stoffe der Triebwerksöle in die Kabinen. Und diese können, bei entsprechender Disposition, gravierende Schäden am Zentralnervensystem hervorrufen. Die VC kritisiert seit vielen Jahren, dass Hersteller eigene Standards setzen und nicht zu einer alternativen Luftversorgung gezwungen werden.

Tragödie in den Alpen

24. März 2015. Um 10:27 Uhr erreicht der Airbus A320 mit der Flugnummer 4U 9525 von Barcelona nach Düsseldorf seine Reiseflughöhe von knapp 12.000 Metern. Drei Minuten später bestätigt der Kapitän die Freigabe der Flugsicherung, um direkt den Wegpunkt IRMAR anzusteuern – der letzte Funkkontakt der Maschine. Der Kapitän verlässt das Cockpit, nachdem er an seinen Co-Piloten übergeben hat. Dieser stellt den Autopiloten auf 100 Fuß (etwa 30 Meter über dem Meeresspiegel) ein, worauf der Bordcomputer den Sinkflug einleitet. Um 10:34 Uhr versucht die Flugsicherung, Funkkontakt mit dem Piloten aufzunehmen – vergeblich.

Jetzt spielen sich dramatische Szenen ab: Der Kapitän versucht, ins Cockpit zu gelangen, hämmert mit den Fäusten gegen die Tür. Um 10:40 Uhr schlagen die Bordinstrumente Alarm. Eine Minute später zerschellt das Flugzeug im Bergmassiv Trois-Évêchés in den französischen Alpen. Alle sechs Besatzungsmitglieder und 144 Passagiere sterben, darunter viele Schüler aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen. Die anschließenden Untersuchungen ergeben, dass der psychisch kranke Co-Pilot den Absturz bewusst herbeigeführt hat.

Die Airlines haben nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Cockpittüren verstärkt, sodass sie von außen nicht zu öffnen sind. Dies nutzt der Co-Pilot für seinen Plan. Doch welche Schlussfolgerungen sind aus dem tragischen Ereignis in den Alpen zu ziehen? Die EASA empfiehlt die sogenannte Zwei-Personen-Regel, die die deutschen Airlines übernehmen. Demnach dürfen Piloten sich nicht mehr allein im Cockpit aufhalten. Die VC kritisiert diese Maßnahme umgehend. Jeder Pilot könne innerhalb von Sekunden ein Flugzeug zum Absturz bringen, wenn er das unbedingt wolle – selbst wenn der Co-Pilot daneben sitzt. Die Zwei-Personen-Regel erhöhe sogar das Risiko, dass sich Unbefugte Zugang zum Cockpit verschaffen. Auch im regulären Betrieb halten sich dadurch mehr Personen im Cockpit auf, etwa wenn einer der Piloten auf die Toilette geht. Dann rufen die Piloten einen der Flugbegleiter nach vorne, der vorübergehend einen Platz im Cockpit einnimmt. Dadurch lasse sich leicht vorhersehen, dass sich die Cockpittür innerhalb der nächsten Sekunden öffnen wird – und das biete zusätzliche Angriffspunkte, kritisiert die VC. Anfang Juli 2016 verabschiedet der Bundestag ein neues Luftverkehrsgesetz. Es setzt unter anderem die Einrichtung einer flugmedizinischen Datenbank um, die auf europäischer Ebene beschlossen wurde. In der Datenbank soll das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) die Gesundheitsdaten von Piloten speichern und damit auch verhindern, dass erkrankte Piloten so lange zu Fliegerärzten gehen, bis sie für flugtauglich erklärt werden. So machte es der Co-Pilot des Unglücksflugs.

Außerdem sollen Airlines bzw. das LBA unangekündigte Alkohol-, Drogen- und Medikamentenkontrollen durchführen. Die VC sieht die stärkeren Kontrollen des Gesetzgebers sehr kritisch. Sie ständen in keinem Zusammenhang mit den psychischen Problemen des Germanwings-Piloten. Erkrankte Piloten würden zudem Wege finden, sie zu umgehen, und häufig lieferten die Tests falsch-positive Er gebnisse. Dann hafte der Makel den Piloten lange an und es wachse das Misstrauen unter den Kollegen. Der Verband fordert dagegen Anlaufstellen bei den Airlines, an die sich Piloten mit Problemen wenden können – ohne existenzbedrohende Konsequenzen wie den Verlust ihrer Lizenz fürchten zu müssen. Was sich bereits bei Alkoholproblemen bewährt habe, sei auch bei psychischen Erkrankungen der richtige Schritt. Zumindest bei der umstrittenen Zwei-Personen-Regel lenken die deutschen Airlines ein, sie wird 2017 abgeschafft. Sie bringe »keinen Sicherheitsgewinn«, erklärte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft nach der Evaluierung.

Was tun nach der Germanwings-Tragödie? Markus Wahl, damals VC-Pressesprecher, erläutert die Positionen des Verbands bei der TV-Talkshow »maybrit illner«.

Für faire Bedingungen

Vizepräsident Markus Wahl, Präsident Martin-Joachim Locher, der Vorsitzende Tarifpolitik Ingolf Schumacher sowie Pressesprecher Janis Georg Schmitt (v. l.) bei einer Pressekonferenz im Jahr 2018 anlässlich der Streikmaßnahmen bei RyanAir.

Im April 2015 stellt die VC beim 7. Deutschen Verkehrspilotentag ihre Kampagne »Safe & FairSKY« vor. Sie setzt sich damit für faire Arbeitsbedingungen und die Verbesserung der Flugsicherheit ein. Mit der Forderung nach Tarifpluralität wendet sie sich zudem gegen das seit dem 10. Juli 2015 geltende Tarifeinheitsgesetz. Demnach gilt innerhalb eines Betriebs der Tarifvertrag, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb abgeschlossen hat. Die VC sieht wie andere Spartengewerkschaften ihre im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit gefährdet.

Darüber hinaus kritisiert der Pilotenverband Lohndumping und Scheinselbstständigkeit – etwa das auch in Deutschland zunehmend verbreitete Arbeitsmodell »Pay-To-Fly«. Manche Airlines erheben bei Nachwuchspiloten eine sogenannte Ausbildungsgebühr von 30.000 bis 50.000 Euro, damit sie Flugerfahrung sammeln können. Diese Kosten kommen zu den etwa 100.000 Euro hinzu, die Piloten für ihre Fluglizenz bezahlen müssen. Vor allem den jungen Piloten bürdet »Pay-To-Fly« gleich zu Beginn ihrer Karriere hohe Schulden auf. Sie sehen sich gezwungen, jederzeit zu fliegen, auch wenn sie sich eigentlich nicht fit genug fühlen. Die VC kritisiert beides: den finanziellen Druck, unter dem Piloten ihr Berufsleben starten, sowie das steigende Sicherheitsrisiko.

Blick nach vorn

Faire Arbeitsbedingungen und ein Maximum an Sicherheit im Luftverkehr – dies sind seit ihrer Gründung 1969 die beiden Themenschwerpunkte der VC. In ihrer 50-jährigen Geschichte hat sie vieles erreicht: Als Berufsverband ist ihre Expertise bei Regularien und Gesetzgebung gefragt, sie bringt sie in Gremien auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene ein. In der 1991 gegründeten European Cockpit Association (ECA) mit Sitz in Brüssel tauschen sich VC-Mitglieder regelmäßig mit ihren Kollegen aus und erarbeiten gemeinsame Positionen; auch im Weltpilotenverband IFALPA gehört die VC zu den mitgliederstärksten Verbänden.

Die Insolvenzen von Air Berlin und Germania im Jahr 2017 bzw. 2019 sind nur zwei Beispiele für die Erschütterungen, die die Branche momentan erlebt. Die Internationalisierung der Airlines schreitet voran, während multinationale Gesetze und Regularien häufig fehlen. Wettbewerber aus dem arabischen und asiatischen Raum sowie Lowcost-Carrier setzen europäische Airlines massiv unter Druck, bei den Fluggesellschaften verdichtet sich die Arbeitsbelastung. Die VC vertritt ihre Mitglieder als »Stimme der Piloten« und setzt sich dafür ein, sie vor schlechter werdenden Arbeitsbedingungen zu schützen und die Sicherheitsrisiken für Passagiere zu minimieren.

Die VC begleitet aktuelle Entwicklungen kritisch und vertritt klare Positionen: So weist sie auf die Gefahren durch Drohnen für die Verkehrsluftfahrt hin und macht sich für Pilotinnen stark – insgesamt sind nur 5 Prozent aller Flugkapitäne Frauen. Regelmäßig veröffentlicht sie Sicherheitsmängel der deutschen und internationalen Flughäfen und regt Verbesserungen an. Auch die Gefahr von Cyberattacken auf technische Systeme am Boden und an Bord erkennt der Verband und schlägt Lösungen vor, um die Risiken zu minimieren. Kritisch verfolgt die VC auch Entwicklungen beim Einsatz Künstlicher Intelligenz: Was bedeutet es für die Branche und die Piloten, wenn die Digitalisierung und die Autonomie von Flugzeugen zunehmen? Wie wird es die Ausbildung verändern? Werden Piloten künftig am Boden statt im Cockpit arbeiten? Drängen neben den traditionellen Airlines neue Anbieter auf den Markt und verändern mit ganz neuen Flugkonzepten die Branche? Was bedeutet das für die Piloten?

Für Antworten auf diese Fragen ist es zu früh. Da die VC sich als demokratische Institution versteht, ist ihre Arbeit von intensiver Diskussion, mitunter sogar Spannungen und Konflikten geprägt – und dies wird auch so bleiben. Denn das Ziel der VC lautet von Anfang an, das Beste für alle ihre Mitglieder zu erreichen und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die dem Wohl und der Sicherheit von Besatzung und Passagieren dienen. Dieses Ziel wird sie weiterverfolgen – als Stimme der Piloten.